'Wörterbuch' von Jenny Erpenbeck. Die Diktatur der Erziehung

Fiction & Literature, Literary Theory & Criticism, European, German
Cover of the book 'Wörterbuch' von Jenny Erpenbeck. Die Diktatur der Erziehung by Hans-Georg Wendland, GRIN Verlag
View on Amazon View on AbeBooks View on Kobo View on B.Depository View on eBay View on Walmart
Author: Hans-Georg Wendland ISBN: 9783668259324
Publisher: GRIN Verlag Publication: July 13, 2016
Imprint: GRIN Verlag Language: German
Author: Hans-Georg Wendland
ISBN: 9783668259324
Publisher: GRIN Verlag
Publication: July 13, 2016
Imprint: GRIN Verlag
Language: German

Rezension / Literaturbericht aus dem Jahr 2016 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover (Deutsches Seminar), Sprache: Deutsch, Abstract: Mit dem 2004 im Eichborn-Verlag erschienenen Roman 'Wörterbuch' von Jenny Erpenbeck im Stil eines inneren Monologs das Psychogramm einer im kindlichen Entwicklungsstadium steckengebliebenen jungen Frau, der es nicht gelingt, sich aus dem Einfluss einer übermächtigen Vaterfigur zu lösen und eine eigene Identität zu entwickeln. Im Rückblendeverfahren werden in einer Sequenz scheinbar willkürlich aneinander gereihter Szenen und Episoden missglückte Versuche dargeboten, sich gegenüber der zerstörerischen Gewalt des Vaters zu behaupten und einen selbst gewählten Entwicklungsweg einzuschlagen. Die namenlose Ich-Erzählerin kann als Anti-Heldin und weiblicher Gegenentwurf zu einer expressionistischen Heldenfigur aufgefasst werden, die - wie der Protagonist in Walter Hasenclevers Drama 'Der Sohn' - voller Sendungsbewusstsein und Pathos gegen ihren Vater revoltiert, sich triumphierend über ihn erhebt und wie neu geboren zu einem Leben auf höherer Ebene aufschwingt. Demgegenüber scheint Erpenbecks Protagonistin - bildlich gesprochen - das Schicksal der rätselhaften 'schwarzgekleideten Engel' teilen zu müssen, die vom Himmel ins Meer stürzen und darin untergehen. Ihr wird kein Leben in Aussicht gestellt, das in eine höhere Daseinsstufe einmündet oder zumindest eine neue Perspektive im irdischen Leben eröffnet. Ihr steht kein Therapeut beratend zur Seite, der ihr dabei hilft, traumatische Kindheitserlebnisse zu verarbeiten. Im Unterschied zu einer sich gegenüber ihrer verständnislosen Umgebung behauptenden expressionistischen Zentralfigur, trifft sie - mit Ausnahme von Leidensgenossen - nur auf übermächtige Gegenspieler, denen sie nicht gewachsen ist. Das Innenleben der Erzählerin erweist sich als eine Art 'terra incognita', eine unerforschte, unergründliche, zerklüftete Seelenlandschaft, die sich dem Zugriff der Sprache und damit der Mitteilbarkeit zu widersetzen scheint, oder wie ein Labyrinth von 'Gehirnwindungen', in dem irgendwo ein winziger Rest ('ein Löffelchen') ihres einstigen Ichs versteckt ist. Analog zum Zerschneiden von Nahrung, wird das wiederholt im Text aufgerufene Instrument des 'Messers' wie ein Skalpell benutzt, um das eigene Innenleben zu sezieren bzw. es in einem selbstzerstörerischen Akt gegen sich selbst zu richten, 'um die Erinnerung abzustechen'. In diesem mit intensiven Bildern angereicherten Psychodrama muss Erpenbecks Zentralfigur die ihr aufgezwungene Rolle einer 'Selbstauslöschung' ohne Gegenwehr übernehmen.

View on Amazon View on AbeBooks View on Kobo View on B.Depository View on eBay View on Walmart

Rezension / Literaturbericht aus dem Jahr 2016 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover (Deutsches Seminar), Sprache: Deutsch, Abstract: Mit dem 2004 im Eichborn-Verlag erschienenen Roman 'Wörterbuch' von Jenny Erpenbeck im Stil eines inneren Monologs das Psychogramm einer im kindlichen Entwicklungsstadium steckengebliebenen jungen Frau, der es nicht gelingt, sich aus dem Einfluss einer übermächtigen Vaterfigur zu lösen und eine eigene Identität zu entwickeln. Im Rückblendeverfahren werden in einer Sequenz scheinbar willkürlich aneinander gereihter Szenen und Episoden missglückte Versuche dargeboten, sich gegenüber der zerstörerischen Gewalt des Vaters zu behaupten und einen selbst gewählten Entwicklungsweg einzuschlagen. Die namenlose Ich-Erzählerin kann als Anti-Heldin und weiblicher Gegenentwurf zu einer expressionistischen Heldenfigur aufgefasst werden, die - wie der Protagonist in Walter Hasenclevers Drama 'Der Sohn' - voller Sendungsbewusstsein und Pathos gegen ihren Vater revoltiert, sich triumphierend über ihn erhebt und wie neu geboren zu einem Leben auf höherer Ebene aufschwingt. Demgegenüber scheint Erpenbecks Protagonistin - bildlich gesprochen - das Schicksal der rätselhaften 'schwarzgekleideten Engel' teilen zu müssen, die vom Himmel ins Meer stürzen und darin untergehen. Ihr wird kein Leben in Aussicht gestellt, das in eine höhere Daseinsstufe einmündet oder zumindest eine neue Perspektive im irdischen Leben eröffnet. Ihr steht kein Therapeut beratend zur Seite, der ihr dabei hilft, traumatische Kindheitserlebnisse zu verarbeiten. Im Unterschied zu einer sich gegenüber ihrer verständnislosen Umgebung behauptenden expressionistischen Zentralfigur, trifft sie - mit Ausnahme von Leidensgenossen - nur auf übermächtige Gegenspieler, denen sie nicht gewachsen ist. Das Innenleben der Erzählerin erweist sich als eine Art 'terra incognita', eine unerforschte, unergründliche, zerklüftete Seelenlandschaft, die sich dem Zugriff der Sprache und damit der Mitteilbarkeit zu widersetzen scheint, oder wie ein Labyrinth von 'Gehirnwindungen', in dem irgendwo ein winziger Rest ('ein Löffelchen') ihres einstigen Ichs versteckt ist. Analog zum Zerschneiden von Nahrung, wird das wiederholt im Text aufgerufene Instrument des 'Messers' wie ein Skalpell benutzt, um das eigene Innenleben zu sezieren bzw. es in einem selbstzerstörerischen Akt gegen sich selbst zu richten, 'um die Erinnerung abzustechen'. In diesem mit intensiven Bildern angereicherten Psychodrama muss Erpenbecks Zentralfigur die ihr aufgezwungene Rolle einer 'Selbstauslöschung' ohne Gegenwehr übernehmen.

More books from GRIN Verlag

Cover of the book Kinderlosigkeit in Deutschland by Hans-Georg Wendland
Cover of the book 'Room on the Broom' in the Primary Classroom by Hans-Georg Wendland
Cover of the book Die Führungskraft als Coach by Hans-Georg Wendland
Cover of the book Frauen zwischen Familie und Beruf. Berufsrückkehrerinnen im Fokus by Hans-Georg Wendland
Cover of the book Homosexualität und Leistungssport by Hans-Georg Wendland
Cover of the book Die Rolle der Global Distribution Systems (GDS) in der Online-Flugbuchung by Hans-Georg Wendland
Cover of the book Die unterschiedliche Entwicklung der USA und Brasiliens in Wirtschaft und Kultur by Hans-Georg Wendland
Cover of the book Schätzen - Vergleichen - Wiegen by Hans-Georg Wendland
Cover of the book Führungsstile: Formen, Effizienz und situationsgerechter Einsatz by Hans-Georg Wendland
Cover of the book Föderalismus in der Schweiz und Österreich: Ein Vergleich by Hans-Georg Wendland
Cover of the book Die Objektivität in der Geschichte und der erzählende Satz by Hans-Georg Wendland
Cover of the book Gestural Languages by Hans-Georg Wendland
Cover of the book 'Das Fliegende Spaghettimonster' - Eine Religion!? by Hans-Georg Wendland
Cover of the book Pilates: Die Prinzipien der Pilates-Methode by Hans-Georg Wendland
Cover of the book Plato's idea of democracy by Hans-Georg Wendland
We use our own "cookies" and third party cookies to improve services and to see statistical information. By using this website, you agree to our Privacy Policy